Feminismus bedeutet im Kern, dass ein anderes Leben möglich ist: ein selbstbestimmtes. Wer hat die Deutungshoheit zu „selbstbestimmt“ inne und wo wirken im feministischen Kontext patriarchale Strukturen in Form eines Zweckfeminismus? Dieser (Zweckfeminismus) folgt Machtinteressen: immer dann, wenn es dem Zweck dienlich wird, gebärdert man(n) sich zu Verteidiger*innen der Frauenrechte. Um dem angeblichen Anliegen, Frauen* zu empowern Nachdruck zu verleihen, muss oftmals die muslimische Community mit ihrem vermeintlich rückständigen Frauenbild herhalten. Denn immer dann, wenn jene Zweckfeminist*innen sich über Emanzipation und Selbstbestimmung ereifern, lenken sie den defizitorientierten Blick auf „die Muslimin*“. Es ist ein herablassender Blick, der es ermöglichen soll, sich der eigenen „Modernität“ und „Fortschrittlichkeit“ zu vergewissern. Was wir hingegen brauchen, ist ein Feminismus, der sich als intersektional versteht, der Sexismus und Rassismus klar benennt, soziale Faktoren nicht unter den Tisch kehrt, sich für selbstbestimmte Lebenswirklichkeiten einsetzt.
Das bedeutet auch Machtstrukturen innerhalb der Sprache und Gehört-werdens aufzuspüren: wer erzählt und wessen Stimme/Geschichte zählt? Hier den Blick für andere feministische Geschichten zu öffnen, bedeutet jene, die durch gesellschaftspolitischen, medialen und auch wissenschaftlichen Diskurs am Rande der Gesellschaft sich wiederfinden (zugleich aber in der Mitte leben, agieren), als Grenzgänger*innen (vgl. Derrida) Raum zu geben ihren kritischen Blick auf die Mitte der Gesellschaft hör/sichtbar zu machen.
Denn feministische Gesellschaft braucht Visionen, die den Wandel anleiten. Menschen, die an einer feministischen, gleichberechtigten Landkarte als Navigatior*innen sowohl auf theoretischer als auch praktischer Ebene arbeiten.
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Feminism in its essence means that another life is possible: a self-determined one. Who has the sovereignty to interpret „self-determined“, and where do patriarchal structures in the form of an expedient feminism work in the feminist context? This (functional feminism) is based on power interests: whenever it serves one’s purpose, one behaves as a defender of women’s rights. In order to give emphasis to the alleged concern for empowering women, the Muslim community with its allegedly backward image of women often has to serve as an example. For whenever those feminists-of-purpose get excited about emancipation and self-determination, they direct the deficit-oriented view to „the Muslim woman“. It is a condescending gaze that is supposed to make it possible to assure one’s own „modernity“ and „progressiveness“. What we need, on the other hand, is a feminism that sees itself as intersectional, that clearly names sexism and racism, that does not sweep social factors under the table, that stands up for self-determined realities of life.
This also means tracking down power structures within language and being heard: who tells and whose voice/story counts? To open our eyes to other feminist stories means that those who find themselves on the fringes of society through socio-political, media and scientific discourse (but at the same time live and act in the middle), as border crossers (cf. Derrida), must be given space to make their critical view of the middle of society audible and visible.
Because feminist society needs visions that guide change; people who work as navigators of a feminist, equality map on both a theoretical and practical level.
Empfohlene Pflichtliteratur / Recommended literature
Adichie, Chimamanda Ngozi (2018): Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories. Fischer Verlag.
Abuzahra, Amani (2017): Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort. Tyrolia Verlag.
Derrida, Jacques (1992): Das andere Kap. Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa. Frankfurt am Main.
Kücükgöl, Dudu (2019): „Spricht sie noch oder schweigt sie schon?“ Silencing-Strategien gegen muslimische Frauen in der feministischen Praxis. In: Heinemann/ Khakpour (Hrsg.): Pädagogik sprechen. Die sprachliche Reproduktion gewaltvoller Ordnungen in der Migrationsgesellschaft. J.B. Metzler